Wer sich einen Hund aus dem Tierschutz holt, sollte auf alles gefasst sein. Meist weiß niemand so genau, was diese Hunde an Rucksäcken tragen. Schlechte Erfahrungen, keine Erfahrungen,
Traumata. Ich weiß das, denn ich bin diesen Weg gegangen. Und er war weit, steinig und voller Aufs und Abs.
Das wichtigste ist, nichts zu erwarten und für Monate vorauszuplanen. Ja, Monate, denn es dauert lange, bis die Hunde überhaupt ankommen. Teils tagelange Transporte, neue Umgebung, neue Bezugspersonen, neues Futter, neue Gerüche und Geräusche - das alles muss erst einmal verdaut werden.
Ein Tierschutzhund muss erst einmal gar nix. Kein Training, kein Benehmen, nur da sein und zur Ruhe kommen. Deshalb bitte maximal Online- oder Einzelberatung, in einem Kurs hat ein frisch
importierter Hund nichts zu suchen.
Dein Hund wird vielleicht extrem verängstigt sein. Lässt dieser Zustand nach drei, vier Wochen nicht nach, macht der Hund nur minimale Fortschritte, kann sich draußen nicht lösen oder
verlässt die Box nur nachts, sollte man unbedingt einen Verhaltensmediziner aufsuchen. Ein solcher Hund braucht Hilfe! Ja, auch medikamentös. Denn Dauerstress zieht gesundheitliche Folgen
nach sich.
Wir holen diese Hunde hierher. Sie haben uns nicht darum gebeten. Wir sind für ihr physisches und psychisches Wohlergehen verantwortlich.
So wenig wie möglich, so viel wie nötig
Grundsätzlich gilt:
- Viel hilft NICHT viel! Mini-Runden ums Haus oder um den Block, möglichst reizarm, helfen beim Akklimatisieren.
- Vertrauensaufbau in Form von Ritualen, gleichen Abläufen, Entspannungsübungen, Erwartbarkeit, vorsichtiger Kontaktaufnahme ist wichtig!
- Lasst den Hund Zeit, in seinem Tempo alles zu erkunden. Neugierverhalten ist gut! Aber es muss vom Hund ausgehen.
- Allein bleiben, Auto fahren, U-Bahn oder Hundewiese sind Dinge, die erst viel, viel später kommen.
- Vielleicht sind die Gassirunden anfangs nur ein Gassisitzen. Das ist ok! Gebt Eurem Hund die Zeit, die er braucht.
- Übereilte Integration in den Alltag fällt einem leider oftmals nach ein paar Wochen auf die Füße. Dann streiken die überforderten Hunde, zeigen Verhaltensauffälligkeiten und teils akute Stressreaktionen.
Kleine Schatten
Vielleicht wird Euer Hund Euch permanent in der Wohnung verfolgen. Das ist KEIN Kontrollzwang, sondern normale Verlustängste. Helft Euerm Hund durch strukturierte Ruhezeiten, in denen auch
Ihr möglichst statische Dinge tut, damit der Hund genug Schlaf bekommt. Wenn er hinterhertrabt, helft ihm, indem Ihr nicht permanent mit ihm sprecht und alles kommentiert - er soll lernen,
dass es keine Relevanz hat, wenn Ihr mal in die Küche oder aufs Klo geht.
Ein Wort zu den Tierschutz-Orgas
Leider gibt es einige Organisationen, die unseriös arbeiten. Hier sollte man wirklich genau hinschauen, damit man keine böse Überraschung erlebt.
Manche Hunde kommen direkt aus dem Zwinger oder der Quarantäne, einige waren vielleicht zuvor auf Pflegestellen in Mehrhundehaltung. Es muss einem klar sein, dass die Aussagen der Orgas über
Verhalten und Eigenarten niemals allgemeingültig sind.
Auch habe ich in den vergangenen Jahren oftmals erlebt, dass Tierschutzhunde trotz anderslautenden Beteuerungen krank vermittelt werden. Deshalb sollte man seinen Schützling gründlich
tierärztlich abklären lassen mit großem Blutbild, Kotprobe, Test auf Mittelmeerkrankheiten, Babesiose und Herzwürmer. Leider zeigt auch hier die Erfahrung, dass man sich auf die Angaben der
Orgas nicht immer verlassen kann.
Ich höre immer wieder von Organisationen, die Trainingstipps geben, bei denen sich mir die Haare sträuben: Auf den Rücken werfen, kneifen, Ohr umdrehen, Wasserpistole werden dort als
vermeintliche "Trainingsansätze" bei unerwünschtem Verhalten empfohlen. Da kann ich nur sagen: Finger weg! Solche Methoden verstoßen gegen das Tierschutzgesetz, sind unethisch und vollkommen
kontraproduktiv. Wer einen Hund hierher holt, um ihn dann derart zu traktieren, lässt ihn besser auf der Straße - dort kann er solchen Menschen wenigstens aus dem Weg gehen. Wenn Ihr Probleme
mit Eurem Tierschutzhund habt, wendet Euch also bitte an eine*n fähige*n Trainer*in, gewaltfrei arbeitende Hundetrainer*innen findet Ihr beispielsweise hier in der Umkreissuche.
Herausfordernd für alle
Das soll kein Plädoyer gegen die Adoption eines Hundes aus dem Tierschutz sein. Aber man sollte sich genau überlegen, ob man die Zeit, die mentale Stärke und das Geld hat, sich einer solchen
Aufgabe zu stellen. Es ist eine Aufgabe, die Geduld, Wissen und vielleicht auch viel Hilfe von Veterinären und Trainern erfordert.
Ja, auch aufgeben gehört vielleicht dazu. Es kann die eigenen Kräfte übersteigen, einen solchen Hund zu begleiten. Das ist keine Schande. Wer sich gut informiert und wohl überlegt
entscheidet, kann dennoch scheitern an der Aufgabe. Vielleicht kommt der Hund einfach nicht zurecht in der neuen Umgebung, auch nach langer Zeit und gezielter Hilfe. Von der rumänischen
Einöde ins Münchner Glockenbachviertel - was gut gemeint ist, ist für manchen Hund keine Rettung, sondern die Hölle auf Erden. Auch dem Hund zuliebe kann dann eine Abgabe sinnvoller sein, als
jahrelanger Dauerstress. Ja, man kann vieles verbessern, trainieren, abfedern, managen. Aber manchmal reicht das nicht aus. Es ist schlimm für den Hund, dann erneut sein Zuhause zu verlieren.
Aber lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.
Lebensaufgabe
Ich bereue nichts. Bubu kam von einer wie sich hinterher herausstellte nicht besonders professionell arbeitenden Orga. Der Impfpass stimmte hinten und vorne nicht. Er war krank. Er war nicht
kinderlieb, wie beteuert, sondern knurrte meine Tochter lange Zeit an, zeigte starkes Angst- und Meideverhalten gegenüber fast allem draußen.
Das ist vorbei, aber einige Traumata lassen sich nie ganz überwinden.
Er ist mein ein und alles. Aber ich kann jeden verstehen, der sich einer solchen Aufgabe nicht stellen mag und kann.
Bereitet Euch vor. Plant viel Zeit ein. Erwartet nichts. Macht Euch aufs Schlimmste gefasst. Das Leben mit Tierschutzhund steckt voller Überraschungen. ♥
Foto: Steffi Atze Fotografie