Die Gründe für eine Kastration beim Hund sind vielfältig: Erleichterter Alltag aufgrund wegfallender Läufigkeit und dem damit verbundenen Aufwand, kein ausgeprägtes Sexualinteresse bei Hündin und Rüden mehr, keine Läufigkeit, erhoffte Verbesserung bei Verhaltensproblemen, Vorsorge vor bestimmten Erkrankungen.
Auch ist der soziale Druck in den letzten Jahren gestiegen. Eine unkastrierte Hündin ist für die Rüden in ihrer Umgebung unglaublich attraktiv. Heulende Hunde am Gartenzaun, aufdringliche Verfolger oder Auseinandersetzungen mit Besitzer*innen intakter Rüden gehen vielen schlichtweg auf die Nerven. Hinzu kommt, dass viele Hundeschulen läufige Hündinnen kategorisch vom Training ausschließen. Einige nehmen auch keine unkastrierten Rüden ins Training, ebenso handhaben es viele Hundepensionen oder Gassiservices.
So erscheint es heute fast normal, den Hund mehr oder weniger standardmäßig kastrieren zu lassen.
Doch eine Kastration ist auch ein tiefgreifender Eingriff, der für die Entwicklung und die Gesundheit des Hundes weitreichende Folgen haben kann. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die Wichtigsten Fragen rund um die Kastration.
Kastration beim Hund: Tierschutzrechtliche Aspekte
Gleich mal vorneweg: Das Tierschutzgesetz verbietet nach § 6 Abs. 1 TierSchG das "vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen" von Wirbeltieren. Ausnahmen bilden unter anderem nur solche Eingriffe, die tierärztlich indiziert sind – wenn also medizinische Gründe wie ein Tumor oder eine Gebärmuttervereiterung eine Kastration notwendig machen.
Insofern ist eine pauschale "Kastrationswut" aus tierschutzrechtlicher Sicht mehr als bedenklich.
Das gilt insbesondere für die Regelungen in Abgabeverträgen von Tierheimen und Tierschutzorganisationen, in denen die neuen Besitzer*innen zur Kastration des Hundes verpflichtet werden. Umso gravierender ist dies vor dem Hintergrund, dass gerade Hunde aus dem Tierschutz häufig mit Unsicherheiten und Ängsten zu kämpfen haben.
Kastration beim Rüden
Bei der Kastration des Rüden erfolgt ein Abbinden der Samenstränge und die Entnahme der Hoden. Der Hund ist in der Folge unfruchtbar und weist einen deutlich vermindertes sexuelles Interesse auf. Der Eingriff wird unter Narkose durchgeführt und dauert etwa 20 bis 30 Minuten.
Davon zu unterscheiden ist eine Sterilisation, bei der lediglich die Samenstränge durchtrennt werden. Der sterilisierte Rüde behält seine Hoden und seinen Sexualtrieb, ist aber zeugungsunfähig.
Kastration beim Rüden: Kosten
Die Kosten für den Eingriff richten sich nach der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT). Je nachdem, welcher Satz (1-, 2- oder 3-fach) berechnet wird, kostet eine Kastration beim Hund zwischen 51 Euro und 153 Euro (Stand: Oktober 2019). Darüber hinaus muss mit Kosten für die Nachsorge oder bei eventuellen Komplikationen gerechnet werden.
Kastration beim Rüden: Vor- und Nachteile
Die Kastration eines Hundes will gut überlegt sein. Denn der Eingriff ist nicht rückgängig zu machen, und häufig haben die Hundebesitzer*innen insbesondere beim Rüden eine falsche oder unrealistische Vorstellung von den erhofften Effekten auf das Verhalten des Hundes. Der Wegfall der Sexualhormone kann außerdem neueren Studien zufolge negative Auswirkungen auf das Immunsystem haben und auch die Entstehung bestimmter Krebsarten fördern. Die in den USA beliebte Frühkastration vor Eintritt der Pubertät kann darüber hinaus verheerende Folgen auf das Wachstum, die Ausreifung des Skeletts und der Muskulatur haben.
Vorteile der Kastration beim Rüden
- Abnahme des Sexualtriebes
- Vollständige Zeugungsunfähigkeit
- Keine Hodentumore
- Abnahme des Risikos für Prostatavergrößerung und -tumore
Nachteile der Kastration beim Rüden
- Irreversibel
- Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
- Starke Absenkung des Testosteronspiegels kann zu vermehrter Unsicherheit oder Ängstlichkeit führen
- Zunahme des Risikos bestimmter Erkrankungen (Schilddrüsenunterfunktion, Milztumore)
Mögliche Nebenwirkungen
- Fellveränderungen
- Gewichtszunahme - hier muss durch Anpassung der Kalorienzufuhr gegengesteuert werden
- Veränderter Geruch kann zu Problemen mit Artgenossen führen
- vereinzelt kann es zu Inkontinenz kommen
Verhaltensprobleme durch eine Kastration vermeiden oder bessern?
Eine Kastration ersetzt kein Training. Zeigt sich ein Hund aggressiv gegenüber Artgenossen, ist sehr lebhaft oder stark an anderen Hunden interessiert, erhoffen sich viele Halter*innen eine Besserung durch die Kastration. Es kann durchaus sein, dass kastrierte Rüden sich gegenüber intakten Rüden weniger ablehnend zeigen, und umgekehrt, weil sie nicht als Konkurrenz wahrgenommen werden. Allerdings ist das stets individuell zu betrachten. Denn wenn ein Hund aus Unsicherheit oder Angst andere Hunde "bepöbelt", kann sich durch den Wegfall des Sexualhormons Testosteron das Verhalten sogar noch verstärken.
In jedem Fall sollte das Verhalten zuerst genau analysiert und beurteilt werden, bevor voreilig zum Skalpell gegriffen wird. Gerade Junghunde können beizeiten völlig "gaga" erscheinen. Mit Eintritt der Pubertät verändern die Hunde sich, werden außenorientierter und erscheinen ihren Besitzer*innen durch das Einschießen der Hormone häufig als sehr anstrengend. Das sind jedoch normale Entwicklungsstadien. Ja, die hormongebeutelten Jungspunde können einen den letzten Nerv kosten. Das liegt aber in der Natur der Sache und ist weniger durch Schnipp-Schnapp, als vielmehr durch Geduld, konsequentes Training und Zeit zu lösen.
Die chemische Kastration mit dem Hormonchip
Seit einigen Jahren erfreut sich der Hormonchip zunehmender Beliebtheit. Dieser Chip wird dem Rüden in den Nacken eingesetzt. Das stetig durch das Implantat abgegebene Deslorelin bewirkt eine starke Abnahme des Gonadotropin-Releasing-Hormons, so dass der Testosteronspiegel sinkt, die Hoden schrumpfen, der Sexualtrieb gehemmt wird und der Rüde vorübergehend unfruchtbar wird. Bis die Wirkung vollständig einsetzt, dauert es einige Wochen.
Vorsicht: In der Anfangszeit kann der Testosteronspiegel kurzzeitig ansteigen, so dass man in jedem Fall mindestens sechs Wochen abwarten sollte, ehe man eine Aussage zu möglichen Änderungen des Sexualverhaltens treffen kann.
Wie lange der Chip wirkt, hängt vom Gewicht des Hundes ab. Unter zehn Kilogramm und über vierzig Kilogramm ergibt sich jeweils eine längere oder entsprechend kürzere Wirkdauer.
Vorteile der chemischen Kastration / Chip
Die Vorteile der chemischen Kastration liegen auf der Hand:
- Der Eingriff ist reversibel.
- Die chemische Kastration auf Probe kann bei der Beurteilung von erhofften Verhaltensänderungen Aufschluss geben.
- Nebenwirkungen sind zeitlich begrenzt.
- Keine Kollision mit Tierschutzrecht.
Nachteile der chemischen Kastration / Chip
Mögliche Nebenwirkungen der chemischen Kastration sind:
- Haut- und Gewebereaktionen an der Implantationsstelle
- Harninkontinenz
- Fellveränderungen
- gesteigerter Appetit / Gewichtszunahme
- verminderter Bewegungsdrang
- Veränderung des Geruchs
- kaum gesicherte Erkenntnisse zu langfristigen Risiken
Kastration eines gechippten Rüden
Im Verlauf der chemischen Kastration sollte im ersten Anwendungszyklus entschieden werden, ob der Hund kastriert wird oder nicht. Idealerweise sollte die Kastration durchgeführt werden, solange der Chip noch vollständig wirkt. Auf diese Weise erspart man dem Hund eine erneute Hormonumstellung und die Hoden sind bereits geschrumpft.
Kastration der Hündin
Bei der Kastration der Hündin werden unter Narkose mit einem Bauchschnitt die Eierstöcke (Ovarektomie) oder die Eierstöcke sowie die Gebärmutter entfernt (Ovariohysterektomie). Die Hündin wird in der Folge nicht mehr läufig und verliert ihre Fortpflanzungsfähigkeit. Der Eingriff dauert etwa eine Stunde.
Wird eine Hündin sterilisiert, werden lediglich die Eileiter durchtrennt. Die sterilisierte Hündin wird dementsprechend auch weiter läufig, kann jedoch nicht trächtig werden.
Kastration Hündin: Wann?
Wann der beste Zeitpunkt für die Kastration einer Hündin ist, vor oder nach der ersten Läufigkeit oder noch später, hat hauptsächlich einen medizinischen Hintergrund. Hauptargument der Kastrationsbefürworter ist meist der Anstieg des Risikos, an Gesäugetumoren zu erkranken, wenn erst nach der ersten Läufigkeit kastriert wird. Kastriert man nach der zweiten Läufigkeit, steigt das Risiko nochmals etwas an. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass nicht einmal zwei Prozent der Hündinnen überhaupt an Mammatumoren erkranken.
Das Tumorrisiko ist das Eine - die körperliche und geistige Ausreifung das Andere. Hormone sind an vielfältigen Prozessen im Körper beteiligt und dienen nicht allein der Fortpflanzung. Mit jeder Läufigkeit machen die Hündinnen nochmals einen Schritt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Deshalb sollte das abstrakte Erkrankungsrisiko nicht der einzige Maßstab für die Kastration oder den Kastrationszeitpunkt sein.
Wieviel kostet die Kastration bei einer Hündin?
Die Kosten für die Kastration einer Hündin richten sich nach der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT). Je nachdem, ob der Tierarzt den einfachen, zweifachen oder dreifachen Satz berechnet, liegen die OP-Kosten zwischen 160 Euro und 481 Euro (Stand: Oktober 2019). Hinzu kommen Behandlungskosten für die Nachsorge.
Kastration der Hündin: Vor- und Nachteile
Auch beim weiblichen Hund gibt es viele unterschiedliche Aspekte zu bedenken und gegeneinander abzuwägen.
Vorteile der Kastration
- Unfruchtbarkeit / keine ungewollte Trächtigkeit
- Ausbleiben der Läufigkeit
- Ausbleiben von Hormonschwankungen und Scheinträchtigkeit
- Verhinderung von Tumoren an den Eierstöcken
- Verhinderung von Tumoren an der Gesäugeleiste (abhängig vom Kastrationszeitpunkt)
- Verhinderung von Gebärmuttervereiterungen
Nachteile der Kastration
- Gewichtszunahme
- höheres Risiko einer Harninkontinenz
- Veränderungen des Haarkleides
- höheres Risiko, an einer Schilddrüsenunterfunktion zu erkranken
- höheres Risiko für bestimmte Erkrankungen und Tumorarten, wie Milztumore
Kastration ja oder nein: Fazit
- Kastration ist kein Allheilmittel bei Verhaltensproblemen oder zur Gesundheitsprophylaxe, sondern kann im Gegenteil auch neue Probleme schaffen.
- Rein rechtlich ist eine Kastration ohne medizinische Indikation mindestens als problematisch anzusehen.
- Hormone sind wichtig für die körperliche und geistige Ausreifung eines Hundes. Die Kastration ist ein tiefgreifender Eingriff in das Hormonsystem des Hundes und sollte deshalb unbedingt gut abgewogen werden.
Insofern lässt sich die Frage "Kastration: Ja oder nein?" nicht pauschal beantworten, sondern muss von Fall zu Fall individuell entscheiden werden.
- Was sind die Hintergründe?
- Was sind die Erwartungen an die Kastration? Sind sie realistisch?
- Wurde über mögliche Nebenwirkungen entsprechend aufgeklärt?
- Welche Verhaltensprobleme lassen sich tatsächlich auf die Hormone zurückführen?
Unabhängig von einer medizinischen Indikation kommt eine Kastration auch in Frage, wenn der Leidensdruck seitens des Hundes sehr groß ist. Gerade das enge Zusammenleben in der Stadt bedeutet für manche intakte Hunde extremen Stress.
Besitzt ein Hund einen (nicht nur temporär) überdurchschnittlich starken Sexualtrieb, jault, kratzt an der Tür, verweigert das Futter und leidet unter Dauerstress, sollte man meiner Meinung nach auch eine Kastration in Erwägung ziehen. Genauso sollte man sich eingehend beraten lassen bei Hündinnen, die unter wiederkehrenden, heftigen Scheinträchtigkeiten leiden.
Die Entscheidung sollte immer zum Wohle des Hundes gefällt werden. Denn auch ein Hund hat meines Erachtens ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Fotos
Hinweis
Dieser Beitrag bietet einen Überblick über grundlegende Fragen bei der Kastration von Hunden. Er ist kein veterinärmedizinischer Fachartikel, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ersetzt keine Beratung durch einen Tierarzt.